SOS Kugellagerstadt
Über 5.000 Beschäftigte setzen sich bei Aktionstag für die Zukunft der Industriearbeit ein

Über 5.000 Beschäftigte haben ein eindrucksvolles Zeichen für die Zukunft der Industriearbeit in Schweinfurt gesetzt. Der Aktionstag der IG Metall Schweinfurt fand unter dem Motto „SOS Kugellagerstadt“ auf dem Marktplatz statt, um auf die sehr kritische Situation in der Region aufmerksam zu machen.

18. April 202418. 4. 2024


Hier gibt es Impressionen zu unserem Aktionstag „SOS Kugellagerstadt“ mit über 5.000 Beschäftigten

„Die Beschäftigten senden damit ein starkes Signal: Wir treten der drohenden Deindustrialisierung in unserer Region offensiv entgegen. Jetzt sind Unternehmen und Politik gefordert, damit hier auch in Zukunft Industriearbeit angesiedelt wird“, sagt Thomas Höhn, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt: „Jetzt ist entschlossenes Handeln gefragt, darauf werden wir auch weiterhin drängen.“ Höhn macht deutlich: „Es braucht jetzt gezielte und zugleich konditionierte Förderungen von Zukunftstechnologien, die Investitionsanreize für Unternehmen mit Beschäftigungssicherung, Standortgarantien, Tarifbindung, ökologischer Nachhaltigkeit und den Kriterien guter Arbeit verknüpfen. Die Kommunalpolitik in der Region muss außerdem den Ausbau der erneuerbaren Energien jetzt entschlossen vorantreiben.“

Die Beschäftigten brauchen Zukunftsperspektiven

Horst Ott, Bezirksleiter der IG Metall Bayern und einer der Redner auf dem Aktionstag, betont: „Was in Schweinfurt bereits beginnt, deutet sich auch in anderen bayerischen Industrieregionen an. Viele Unternehmen nutzen die Transformation als Vorwand, um Produktion und Arbeitsplätze in Billiglohnländer zu verlagern. Doch die Beschäftigten brauchen Zukunftsperspektiven, sonst werden sie die Veränderungen nicht akzeptieren. Die Unternehmen stehen in der Verantwortung, Zukunftsprodukte vor Ort anzusiedeln. Und die Bundesregierung und die bayerische Staatsregierung stehen in der Verantwortung, mit ihrer Wirtschaftspolitik die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.“

Die Situation der Industriearbeit stellt sich gerade in der Region Schweinfurt-Main-Rhön sehr kritisch dar, darauf haben die Redner auf der Bühne hingewiesen: Neben Horst Ott und Thomas Höhn sprachen Oliver Moll (Betriebsratsvorsitzender von ZF am Standort Schweinfurt), Norbert Völkl (Betriebsratsvorsitzender von SKF am Standort Schweinfurt), Jürgen Schenk (Betriebsratsvorsitzender von Schaeffler am Standort Schweinfurt), Sebastian Schierling (Betriebsratsvorsitzender von Bosch Rexroth am Standort Schweinfurt) sowie Justin Rieck, Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung bei der ZF in Schweinfurt. Auch Schweinfurts Oberbürgermeister Sebastian Remelé und Frank Firsching, DGB-Regionsgeschäftsführer Unterfranken, sprachen auf dem Marktplatz. Die Beschäftigten der Schweinfurter Industriebetriebe hatten sich zuvor in mehreren Demozügen zum Marktplatz begeben. Auch aus umliegenden Regionen wie Rhön-Grabfeld und den Haßbergen waren Busse mit Beschäftigten zum Aktionstag der IG Metall Schweinfurt gekommen.

„Es darf nicht nur um Margenoptimierung gehen“

„Wir verlangen von den Unternehmen ein klares Bekenntnis zu den Traditionsstandorten in der Region“, betont Thomas Höhn, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt. „Dafür braucht es Investitionen, Produktinnovationen und gute Arbeitsplätze – am besten festgehalten in Zukunftsvereinbarungen mit IG Metall und Betriebsräten. Die Unternehmen sind hier in Schweinfurt groß geworden und haben deshalb auch eine moralische Verantwortung für den Standort. Moral ist zwar keine betriebswirtschaftliche Größe, aber es darf nicht nur um Margenoptimierung gehen.“

Wie bereits berichtet, könnte es am ZF-Standort in Schweinfurt zu einem tröpfchenweisen Abbau von mehr als 2.000 Arbeitsplätzen kommen. Bei SKF wurden in den vergangenen 18 Monaten 500 Arbeitsplätze sozialverträglich abgebaut. Diese Arbeitsplätze sind für die Region bereits verloren. Für 2024 ist bei SKF ein Überhang von 200 Beschäftigten prognostiziert, für 2025 von weiteren 200 Beschäftigten. Bosch Rexroth will bis spätestens Ende 2028 bis zu 240 Stellen am Standort Schweinfurt und dem Werksteil in Volkach sozialverträglich abbauen. Bei Schaeffler wird am Standort Schweinfurt aufgrund sinkender Auslastung ein Freiwilligenprogramm gestartet, mit dem 50 Personen aus dem indirekten produktionsnahen Bereich ausscheiden sollen. Bei Valeo in Bad Neustadt an der Saale werden bis Ende Juni 310 der 510 Beschäftigten im Elektromotorenwerk ihren Job verlieren. Die Produktion wird nach Polen verlagert.

Industriestandort Deutschland in Gefahr

Dass der Industriestandort Deutschland in Gefahr ist, darauf haben IG Metall und der Metall-Arbeitgeberverband Gesamtmetall in einer gemeinsamen Mitteilung aufmerksam gemacht – mit einem klaren Appell an die politisch Verantwortlichen: Energisches Gegensteuern ist gefragt – sonst drohen eine verheerende Deindustrialisierung, eine weitere gesellschaftliche Spaltung und eine zunehmende Radikalisierung politischer Debatten und Proteste. Die Metall- und Elektro-Industrie ist das Herz der Wirtschaft in Deutschland. In den rund 25.000 Unternehmen der Branche arbeiten fast 4 Millionen Menschen. In der Branche werden 20 Prozent aller Steuereinahmen und ein Drittel aller Sozialversicherungsbeiträge erwirtschaftet. Die M+E-Industrie ermöglicht es, dass es auch außerhalb der Metropolen sehr viele leistungsfähige und gut bezahlte Arbeitsplätze gibt. Von der industriellen Wertschöpfung hängen weitere 2 Millionen Arbeitsplätze direkt bei Dienstleistern und Handwerk ab. Sie ist somit der Kern für Wohlstand, die Finanzierung des Sozialstaats und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Exemplarisch dafür stehen Schweinfurt und Umgebung: Die Stadt hat fast 27.000 Industriearbeitsplätze, das Bruttoinlandsprodukt ist pro Kopf mit fast 100.000 Euro das fünfthöchste in Deutschland. Diese Zahlen verdeutlichen, welche Auswirkungen ein Verlust von Industriearbeitsplätzen in Schweinfurt auf die gesamte Region hätte. „Um die Zukunft der Region zu sichern, braucht es jetzt einen engen Schulterschluss zwischen Beschäftigten, Unternehmen und Politik“, betont Thomas Höhn.